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Oxymoron „NACHHALTIGE ARCHÄOLOGIE“?

Nachhaltigkeit ist in aller Munde, und das ist gut so. Als Archäolog *innen müssen wir uns in dieser Welt auch der unumgänglichen Frage stellen, wie nachhaltig unser Wirken für Umwelt, Mitmenschen, Tier und Boden ist. Vor allem das soziale Gefüge unserer Branche beschäftigt uns als einen der größten archäologischen Arbeitgeber Deutschlands, ist es doch der ausschlaggebende Punkt dafür, wie sich die Welt der privatwirtschaftlichen Archäologie in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird.

Disclaimer: Das System „Archäologie“ ist in Deutschland nicht einheitlich

Wenn man in Deutschland archäologische Projekte betrachtet, bietet sich einem je nach Bundesland und Region ein gänzlich unterschiedliches Bild. Während in manchen Bundesländern das Landesamt für Denkmalpflege ausgräbt, liegen die Grabungen in Bayern komplett in den Händen privatwirtschaftlicher Firmen und die Behörden nehmen kontrollierende, beratende und planerische Aufgaben wahr. Dieses System bietet in der Umsetzung von archäologischer Baubegleitung sehr große Vorteile, da eine sehr hohe Abdeckung von Baumaßnahmen mit Begleitung ermöglicht wird. Näherungsweise 100 Prozent aller Baumaßnahmen in oder nahe bei Bodendenkmälern werden auch archäologisch betreut. Dennoch ist auch innerhalb dieses zukunftsträchtigen und fruchtbaren Systems die Frage der Nachhaltigkeit eine kontinuierlich neu zu diskutierende.

Archäologie als Paradoxon: Ein ungewolltes Produkt

Aus Sicht des Marktes sind archäologische Dienstleistungen ein Paradoxon. Die kommerziell tätige Archäologie bietet mit ihren Ausgrabungen ein Produkt an, das die wenigsten haben möchten.  Sie ist gesetzlich vorgeschrieben Wenn jemand auf einem Bodendenkmal bauen möchte, erhält er in Denkmalflächen die Auflage der Denkmalschutzbehörde, den Bau archäologisch zu begleiten.  Es gilt das Verursacherprinzip –  wer in den Boden eingreift, bezahlt auch den Einsatz der
Archäolog *innen.  Noch dazu hält sich bei den Bauherren das problematische Klischee, dass Baumaßnahmen dadurch unnötig verzögert würden. All das macht die Archäologie bei ihren Auftraggebern selten beliebt. Da darüber hinaus die Bandbreite zur Erfüllung der denkmalrechtlichen Auflagen akzeptierter Dokumentationen extrem groß ist, spielen hohe Qualitätsstandards kaum eine Rolle. Die Resultate sind die Bevorzugung des günstigsten Anbieters zu Lasten der Qualität, das vollkommene Ignorieren sozialer Aspekte bei Beauftragungen, die Förderung einer Mentalität des „Augen zu Drückens“ in Bezug auf Befunde und Funde und all das nicht nur bei privaten, sondern auch öffentlichen Auftraggebern.

Wie schwierige Arbeitsbedingungen die Zukunft der Archäologie gefährden

Das Interesse an der privatwirtschaftlichen Archäologie ist also klein, was den Preiskampf zwischen den Firmen verschärft. Leidtragende sind die Archäolog *innen selbst. Trotz akademischer Ausbildung blicken sie auf befristete Honorarstellen oder niedrigen Stundenlohn bei anspruchsvoller Arbeit. Attraktive Jobperspektiven sehen anders aus. Kein Wunder also, dass der Nachwuchs in der Branche immer rarer wird, obwohl die Auftragsbücher der Archäologiefirmen voll sind – mit besorgniserregenden Effekten, nicht nur auf die soziale Nachhaltigkeit.  Dieser Fachkräftemangel wird auf Dauer Auswirkungen auf die Qualität der Dokumentation haben und damit auf die eingangs angesprochene inhärente Nachhaltigkeit der Archäologie an sich. In der Branche sind sich die meisten  daher einig – vor allem, was die soziale Nachhaltigkeit betrifft, muss sich im Interesse aller dringend etwas ändern.

Der privatwirtschaftlichen Archäologie fehlt der Rückhalt

Archäologie steht in Deutschland auf diversen Säulen. Einerseits beeinflussen Universitäten, Museen, Denkmalschutzbehörden und Institute einen Großteil der öffentlichen Wahrnehmung,„im Feld“ sind sie aber kaum tätig. Dem gegenüber stehen kommerzielle Grabungsfirmen wie unser Unternehmen, die inzwischen einen Großteil der archäologischen Grabungen in Deutschland betreuen, sich aber aufgrund ihrer gesetzlichen Arbeitsgrundlage und ihres Aufgabengebietes innerhalb des Marktes in einer mehr als schwierigen Lage befinden. Leider werden sie wissenschaftlich gesehen stiefmütterlich behandelt, obwohl sie mit ihrer Tätigkeit den primär wissenschaftlichen Institutionen wichtige Grundlagenarbeit liefern. Allzu gern gerät in Vergessenheit, dass Grabungsleiter*innen, Grabungstechniker*innen und Dokumentationsassistent*innen, aber auch viele Grabungsfachkräfte, Archäologen mit abgeschlossenem wissenschaftlichen Studium sind, die auf Basis ihrer wissenschaftlichen Expertise methodisch wesentliche und nachhaltige Entscheidungen treffen müssen. Was dokumentieren wir wie mit welchen Mitteln, um welchen Erkenntnisgewinn zu erzielen oder einer zukünftigen Aufarbeitung in der Tiefe zu ermöglichen? Sie sind diejenigen, die vor Ort, mit einem unzufriedenen Bauherrn und einer drängenden Baufirma im Nacken korrekt vermessen, beschreiben, einordnen, zeichnen und im Befundkontext interpretieren müssen, damit der Grundstein für die spätere Forschung gelegt werden kann. Das macht die Rettungsarchäologie zu einem wichtigen, extrem  verantwortungsvollen und vor allem weiten Feld. Denn die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit bestimmt die Güte der späteren Forschung.

Technologischer Wandel in der Archäologie

Moderne Archäologie greift auf ein wahres Arsenal technologischer Werkzeuge zurück und hat mit der weit verbreiteten, romantischen Vorstellung von pinselschwingenden Schatzjägern nichts zu tun. Naturwissenschaftliche Methoden und technologisierte Dokumentationsverfahren haben sie in den vergangenen Jahren wesentlich effizienter werden lassen, als der langsame, teure und verzögernde Ruf, der ihr noch hartnäckig vorauseilt. Sie ist in ihrer Effizienz unterschätzt und in ihrem Auftrag falsch verstanden Sie dient sich nicht aus einem Selbstzweck heraus, sondern nutzt Systeme wie CAD, Vermessungstechnik, GIS Programmierung und vieles mehr, um mit ihren Ergebnissen unser kulturelles Selbstverständnis zu bereichern und sonst rettungslos verlorene Kulturdenkmäler für die Zukunft gewissermaßen in anderem Aggregatzustand zu bewahren.  Der technologische Wandel, der zu diesem modernen Grundverständnis des Berufes gehört, wird dabei naturgemäß nie abgeschlossen sein – umso wichtiger ist es, dass es Menschen gibt, die diesen Wandel mitgestalten wollen, auch um die Arbeit im Sinne der Nachhaltigkeit für zukünftige Generationen zu verbessern.

Der Nachwuchs braucht neue Perspektiven

Obwohl sich die Archäologie mit altertümlichen Dingen befasst, ist ihr der neue, technikgetriebene Wandel der  Welt nicht fremd. In der Öffentlichkeit ist der technologische Anteil kaum bekannt, dabei könnte er für viele junge Menschen in der Ausbildung eine interessante, berufliche Spezialisierung bedeuten. Auch in der universitären Ausbildung spielt die technologische Facette des Berufes nur eine untergeordnete Rolle. Dabei bezieht sich Archäologie nicht nur auf die Vergangenheit, sondern fundamentiert und erweitert unsere Möglichkeiten der Identitätsfindung, Selbstvergewisserung und Reflexion für die Zukunft. Obwohl sie nicht für sich selbst existiert, sondern ein Netzwerk bildet, das Disziplinen wie Geologie, Archäobotanik Anthropologie, Paläontologie und andere Naturwissenschaften, aber auch Konservierung und mediale Publikation miteinander verbindet, ist gerade Studienanfängern dieses weite Feld voller Spezialisierungsmöglichkeiten kaum bekannt. Auch das Bild der Archäologie, das in Schulen vermittelt wird, ist angestaubt und geht an der Realität vorbei. Wir glauben deswegen, dass auch in der Ausbildung zukünftiger Archäolog *innen ein Veränderungsprozess angestoßen werden muss, der die technologische Entwicklung übergreifend in den Fokus rückt, das Feld für den so dringend benötigten Nachwuchs attraktiver macht und damit der Branche im allgemeinen einen positiven und vor allem nachhaltigen Blick in die Zukunft verleiht.

Die Lösung? Konstruktive Gespräche!

Die Rettungsarchäologie ist ein gewachsenes, komplexes Konstrukt. Um ihr die nötige Nachhaltigkeit zu verleihen, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden egal, ob es dabei um technologischen Fortschritt, soziale Implikationen, ressourcenschonendes Arbeiten oder ihre öffentliche Wahrnehmung geht. Fakt ist: Ohne die kommerzielle Archäologie wären geschichtliche Forschung und kulturelles Leben um ein entscheidendes Stück ärmer und schwieriger. Ihr eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, wird dementsprechend mit zur größten Herausforderung, der sich die Branche bisher stellen musste. Dies kann nur im konstruktiven Dialog aller Stakeholder in der archäologischen Landschaft gelingen. Museen, Behörden, Universitäten, Fachfirmen, aber auch die Politik und interessierte Laien als Multiplikatoren müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, damit zukunftsträchtiger und nachhaltiger Wandel gelingt.